Weblog von Karl von Habsburg

Haltung. Orientierung. Hoffnung.

Rede zur Zukunft Europas, Karl von Habsburg, 11. Jänner 2025

Wir leben in spannenden Zeiten. Das haben wohl auch die Ausführungen von Premierminister Andrej Plenkovic gezeigt, für die ich ganz herzlich Danke sagen möchte, weil er auch klar herausgearbeitet hat, wie wichtig die europäische Einigung für uns alle ist. Unbestreitbar aber bieten spannende Zeiten viele Chancen, sowohl in Richtung Verbesserung als auch in Richtung Verschlechterung.

Es wird sehr davon abhängen, wie wir selbst bereit sind, gestaltend für die Zukunft einzugreifen. Zumindest wir in Europa haben dazu die Chance, die Möglichkeiten. Denn bei allen Diagnosen über die zunehmende Polarisierung der Politik, über die Scheinlösungen, die uns von sympathischen oder geifernden Populisten vorgegaukelt werden, leben wir in demokratischen Systemen, in denen es darauf ankommt, wie weit wir uns selber engagieren, wie weit wir bereit sind auf die Gestaltung der Zukunft Einfluss zu nehmen.

Natürlich kann man sich zurücklehnen und sich – und dem Rest der Welt – sagen: Was geht mich das an, ich habe mein sicheres Einkommen, wenn nicht, dann sorgt der Wohlfahrtsstaat für mich, also muss ich mich nicht anstrengen. Ob jetzt Donald Trump den Krieg in der Ukraine tatsächlich in 24 Stunden beendet, wie er angekündigt hat, oder nicht, ist mir egal. Und wenn Putin die Ukraine möglichst schnell erobert, weil wir die Unterstützung einstellen, dann ist wenigsten Friede, und wir müssen uns nicht jeden Tag Nachrichten über grausame Angriffe anhören und die Bilder von den Zerstörungen und all dem menschlichen Leid ansehen.

Dass das nicht meine Einstellung ist, wissen Sie. Haltung. Orientierung. Hoffnung sind drei Schlagworte, die ich als Titel für diese Rede gewählt habe, und die auch als Motto, also roter Faden, für verschiedene Organisationen, in denen ich Leitungsfunktionen habe, für dieses Jahr gelten sollen.

Wer Haltung hat, der steht für etwas. Für Grundsätze, für Prinzipien, für Engagement, für Werte. Wer Haltung zeigt, wird sich weder durch die politische Polarisierung entmutigen lassen noch durch Populisten und falsche Ideologien verführen lassen. Wer Haltung zeigt, kann auch Orientierung geben, kann Vorbildwirkung für andere entfalten. Dort wo es Orientierung gibt, lebt auch die Hoffnung, gut ein Ziel zu erreichen.

Dazu muss man gar nichts Neues erfinden. Denn die europäische Kultur, die wohl uns alle geprägt hat, die heute vielleicht etwas zugestaubt, aber nicht verstaubt ist, gibt uns das notwendige Fundament. Diese Kultur basiert auf den sogenannten judäo-christlichen Werten. Dazu gehört auch die Vernunft, die uns erkennen lässt, dass diese Werte, ganz unabhängig davon, wie intensiv man selbst dem Gottesglauben folgt, elementar für ein gutes und friedliches Zusammenleben sind.

Es ist kein Zufall, dass sich in dieser christlich geprägten Kultur jene Rechtsstaatlichkeit herausgebildet hat, die Europa zu einem Vorbild für andere Kontinente gemacht hat. Rechtsstaatlichkeit bedeutet ja nicht, dass der Staat eine bestimmte Glücks- oder Wohlfahrtsvorstellung durchsetzt, mit Zwang durchsetzt, sondern dass der Staat Recht und Freiheit schützt.

Er setzt allgemeine Regeln, innerhalb derer wir unsere Freiheit, unsere persönliche Glücksvorstellung leben können, ohne die Freiheit des anderen zu stören.

In der Wirtschaft würde man das Ordnungspolitik nennen, also jenes Konzept, das einst das deutsche und damit auch das österreichische Wirtschaftswunder ermöglicht hat, weil es eine echte Marktwirtschaft erlaubt. Und wenn wir nun den Schritt auf die internationale, globale Bühne wagen, dann sind wir damit bei dem, was wir die regelbasierte Ordnung nennen.

Das alles ist nicht selbstverständlich, wie wir täglich in den Nachrichten hören, sehen und lesen können. Aber gerade wenn wir die oben skizzierte Haltung leben, erwächst daraus für uns die Pflicht, uns dafür zu engagieren, dass genau diese Prinzipien, die gar nicht selbstverständlich sind, zur Orientierung und damit zur Hoffnung werden, die spannenden Zeiten in eine gute Zukunft zu gestalten.

Wenn ich sage, dass das alles nicht selbstverständlich ist, dann ist das auch ein Hinweis darauf, dass diese Elemente der Haltung sich entwickeln mussten, teilweise aus ganz brutalen Erfahrungen, durch die unsere Vorfahren gehen mussten, und wir heute an einer Weggabelung stehen: schaffen wir es noch rechtzeitig die richtigen Schritte zu setzen, oder lassen wir zu, neuerlich in einem Loch zu landen, in dem nicht mehr Rechtsstaatlichkeit sondern das Recht des Stärkeren oder vielmehr das Recht des Brutaleren gilt?

Um es mit einem wirtschaftlichen Beispiel zu beschreiben. Wir hatten vor dem Ersten Weltkrieg eine erste Phase der Globalisierung im Sinne eines Welthandels. Das hatte viele Vorteile für die allgemeine Entwicklung. Es hat dann zirka 70 Jahre gedauert, bis wir dieses Niveau des Welthandels, mit all seinen Vorteilen, wieder erreicht haben.

Dazwischen lag eine Zeit der Kriege, egal ob auf Schlachtfeldern ausgetragen oder eben ein kalter Krieg. Daraus wurden Gott sei Dank einige Lehren gezogen.

Denken wir an den 11. März 1938. Hitler marschiert in Österreich ein und annektiert das Land. Der Rest der Welt applaudiert. Nur Mexiko protestiert. Man meinte, wenn man Hitler das kleine Österreich, in dem ohnehin Deutsche leben würden, überlässt, würde das seinen Hunger auf neue Eroberungen stillen. Sein wahres Programm, das er in „Mein Kampf“ dargelegt hatte, kannte kaum jemand oder wollte kaum jemand ernst nehmen.

Doch dann kam das Sudetenland, die ganze Tschechoslowakei, der Pakt mit Stalin zur Aufteilung Europas, und schließlich der Angriff auf Polen.

Erst dann haben Großbritannien und Frankreich begonnen, ihre Garantieversprechungen einzulösen. Millionen Männer und Frauen mussten ihr Leben lassen, um den Tyrannen in die Knie zu zwingen. Deutschland, das sich die braune Verbrecherbande unter den Nagel gerissen hatte, konnte sich nach dem Regime-Change, wie man das heute nennen würde,  also nach der militärischen Niederlage, zu einem Rechtsstaat, zu einer Demokratie entwickeln.

Die Parallelen zur heutigen Zeit sind nicht zu übersehen. Putin hat erst den Frieden mit Tschetschenien gebrochen. Das war bereits 1999, kurz nachdem er Premierminister wurde. Er ist in Teile Georgiens einmarschiert und hat dem Land Gebiete entrissen. Er ist auf der Krim einmarschiert und hat sie annektiert. Der Rest der Welt hat es zur Kenntnis genommen.

Denn, so meinten viele, die Krim sei doch immer schon russisch gewesen. Mit Allgemeinbildung haben Leute, die das behaupten, zwar nichts zu tun, aber Hauptsache, sie haben eine Meinung. Wer sich an die Einladung an Putin nach Wien, direkt nach der Annexion der Krim und dem Einmarsch im Donbas, erinnert, kann sich nur schämen, für die Repräsentanten dieses Landes, die noch dumme Scherze mit dem Tyrannen von Moskau gemacht haben.

Auch hier siegte die Illusion über den Verstand. Man wollte glauben, man könne den Tyrannen von Moskau besänftigen, wenn man ihm nur einen Teil des Nachbarlandes gäbe und sonst ganz normal weiter Geschäfte mit ihm mache. Hunderttausende Menschen haben diesen Irrtum bisher mit dem Leben bezahlt. Manchmal frage ich mich, wie jene Menschen, die damals in der Wirtschaftskammer mit Putin gescherzt haben, noch ruhigen Gewissens schlafen können.

Der 24. Februar 2022 hat die Lehre der Geschichte neuerlich bewiesen. Wer meint den Tyrannen in seiner Unterwerfungssucht mit Beutestücken besänftigen zu können, hat eine der Grundregeln der Politik nicht verstanden.

1945 hat man die Lehren aus dem 11. März 1938 gezogen. Es wurden die Vereinten Nationen, die UNO, gegründet. Die UNO-Charta wurde wesentlich stärker formuliert als es die Statuten des Völkerbundes waren.

Artikel 2 Ziffer 4 der UN-Charta sagt: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Allgemein bekannt ist diese Formulierung als Aggressionsverbot. Also ein ganz klares Verbot, ein anderes Land anzugreifen und zu erobern.

Viele Artikel weiter, nämlich im Artikel 51, wird dann das Recht auf Selbstverteidigung verankert. Individuell und kollektiv. Individuelle Selbstverteidigung bedeutet, dass jedes Land, das angegriffen wird, das Recht hat, sich zu verteidigen. Kollektive Selbstverteidigung bedeutet, dass alle Staaten das Recht haben, dem Opfer der Aggression zur Hilfe zu eilen. Das geht von der Lieferung von Waffen über die logistische und nachrichtendienstliche Unterstützung bis zur Entsendung von Truppen.

Dieses Recht auf Selbstverteidigung besteht so lange, bis der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weitere oder andere Maßnahmen beschließt. Diese Bestimmung ist derzeit quasi totes Recht, da der Sicherheitsrat nicht funktionieren kann. Der Aggressor hat in diesem Sicherheitsrat ein Veto-Recht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die zitierten Artikel der UNO-Charta sind die Grundlagen dessen, was wir heute die regelbasierte Ordnung oder das Völkerrecht nennen. Diese regelbasierte Ordnung ist auf globaler Ebene das, was wir auf nationalstaatlicher Ebene Rechtsstaatlichkeit nennen. Es ist das klare Gegenteil dessen, was sich Recht des Stärkeren nennt. Oder vielleicht sollten wir besser vom Recht des Brutaleren sprechen, auch wenn es mit Recht nichts zu tun hat.

Da stehen wir jetzt: Das demokratische, rechtsstaatliche Europa, der demokratische, rechtsstaatliche freie Westen, die westliche Wertegemeinschaft, steht vor der Frage, ob diese regelbasierte Ordnung noch gilt und auch noch weiter gelten soll. Die Gemeinschaft der Tyrannen von Pjönjang über Peking und Moskau bis zu deren weiteren Verbündeten steht nicht vor dieser Frage.

Denn für die Tyrannen gilt das Recht oder besser gesagt die Gewalt des Brutaleren.

Das ist übrigens ihre größte Schwäche. Denn jede derartige Allianz von Großverbrechern beruht auf dem blutgetränkten Aggressionspotenzial. Dass sie nicht übereinander herfallen ist einzig einer Ideologie des Schreckens zu verdanken, in der jeder dieser Tyrannen weiß, dass der andere ohne Wimpernzucken genauso zum massenhaften Blutvergießen bereit ist.

Der Mensch in seiner uns vertrauten Würde zählt nur als mögliches Kanonenfutter und als Produzent von weiterem Kanonenfutter.

Nehmen Sie mir bitte, meine sehr geehrten Damen und Herren, die hier gewählte doch etwas drastischere Ausdrucksweise nicht übel.

Wir müssen den Herausforderungen ins Auge blicken, wir müssen sie erkennen und klare Orientierungspunkte setzen, um diese Herausforderungen zu meistern.

Wir müssen wissen wo wir stehen, und wir müssen uns die ganz einfache Frage stellen: wollen wir die regelbasierte Ordnung erhalten? Dann müssen wir sie verteidigen. Oder ist es uns egal. Dann können wir den Chamberlain von 1938 machen oder den Scholz – und viele andere – von 2022 bis heute.

Man hat aber nicht nur 1945 mit dem Aggressionsverbot und dem Recht auf Selbstverteidigung die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen, sondern auch 1989 nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Die europäische Einigung, die im Westen Europas mit sechs Staaten ihren Anfang genommen hat und bis 1990 zu einer Zwölfergemeinschaft wurde, konnte nun erstmals auch auf den mitteleuropäischen Raum ausgedehnt werden. Erst kamen die drei Staaten Österreich, Schweden und Finnland dazu, dann 2004 acht Staaten, die bis 1989 durch Moskau kontrolliert wurden, sowie Zypern und Malta. Bulgarien, Rumänien und Kroatien folgten im Laufe des nächsten Jahrzehnts.

Noch 2003 wollte man diesen Erweiterungsprozess fortführen und gab an die sogenannten Westbalkanstaaten das Versprechen, dass ihnen der Weg in die Europäische Union offen stehen würde. Doch nach 2004 setzte eine Erweiterungsmüdigkeit ein, unter der Europa noch heute leidet.

Dabei ist gerade die Erweiterungspolitik eines der erfolgreichsten Projekte der europäischen Einigung. Schließlich geht es dabei um die Ausdehnung von Demokratie, Freiheit, Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit auf einen größeren Raum. Der Satz „je weiter wir die Grenzen der Freiheit nach Osten verschieben, desto sicherer wird die Mitte“, der aus dem Munde meines Vaters stammt, der damit die wesentliche Komponente der Erweiterung unterstrich, gilt auch heute noch.

Allerdings wurde kurz nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs ein gefährlicher Fehler durch eine falsche Interpretation der Ereignisse gemacht. 1991 wurde die Sowjetunion aufgelöst. Im Westen sprach man vom Ende des Kalten Krieges, vom Ende der Geschichte, dem endgültigen Sieg der westlichen Werte, der liberalen Demokratie über den Totalitarismus.

Doch in Moskau hat man die Geschichte anders interpretiert. Dort galt insbesondere in den Kreisen des KGB, aber auch vieler Funktionäre der UdSSR, das Ende der Sowjetunion nicht als Ende des Kalten Krieges, sondern nur als eine verlorene Schlacht in diesem Krieg.

Spätestens mit der Machtübernahme Putins war klar, dass das alte Ziel Moskaus, die Ausdehnung des Reiches nach Westen, über Europa, nicht vergessen war, sondern eine Renaissance erfuhr. Selbst unter Jelzin war dieses Ziel nicht verschwunden, auch wenn die innere Schwäche Moskaus damals keine entsprechenden Vorstösse zuließ.

Die Mitteleuropäer, die 1945 bis 1989 unter der Herrschaft Moskaus standen, wussten wohl, dass Moskau seinen Eroberungshunger nur für einige Zeit unter Kontrolle halten werde. Der Wunsch, der Nato beizutreten und damit Sicherheit gegen eine neuerliche Aggression Moskaus zu haben, wir somit mehr als nur verständlich.

Es war ja nicht eine strategische Politik der USA oder der Nato, sich nach Osten zu erweitern, sondern es war der begründete Wunsch der nun tatsächlich freien Länder, im freien Westen Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung finden zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde!

Wir Menschen neigen zu Bequemlichkeit. Wir haben uns an einen gewissen Lebensstil gewöhnt, an einen Komfort, den uns unser erwirtschafteter Wohlstand bietet. Aber wir müssen uns auch bewusst sein, dass dieser Wohlstand immer wieder neu erwirtschaftet werden muss, dass das Leben in Freiheit und Sicherheit auf einem politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Rahmen beruht.

Jetzt wiederhole ich mich: das alles ist nicht selbstverständlich. Der Rechtsstaat ist durchaus bedroht durch Polarisierung und ideologische Verblendungen. Die regelbasierte Ordnung ist ganz konkret bedroht durch totalitäre und diktatorische Staaten, die ganz offen mit Aggression gegen Nachbarländer drohen und die diese Aggression auch mit militärischen und hybriden Angriffen umsetzen.

Wir stehen an einem entscheidenden Wendepunkt. Mehr als zehn Jahre nach Beginn des Krieges Moskaus gegen die Ukraine, fast drei Jahre nach Beginn der Vernichtungsinvasion, stehen wir vor der Frage, wie wir es schaffen, diesen Krieg mit einer Durchsetzung der regelbasierten Ordnung zu beenden.

In wenigen Tagen wird in Washington ein neuer, und gleichzeitig alter, Präsident der USA angelobt. Wen die Bürger Amerikas mit Mehrheit zu ihrem Präsidenten wählen, können wir Europäer nicht entscheiden. Wir können nur darauf Einfluss nehmen, wie wir in Europa unsere Politik so ausrichten, dass wir als Kontinent noch eine Rolle auf der Bühne der Weltpolitik spielen und nicht von außereuropäischen Mächten dominiert werden.

Es wird viel spekuliert darüber, was Donald Trump als US-Präsident machen wird. Wir alle kennen seine Sprüche, von der Beendigung des Krieges gegen die Ukraine innerhalb von 24 Stunden bis hin zu seinen berühmten Deals oder der Aussage, dass es die Kriege nie gegeben hätte, wäre nur er der Präsident. Sagen wir es freundlich: an Selbstvertrauen mangelt es ihm nicht.

Auf eine Spekulation will ich eingehen, und auch auf eine ganz konkrete Bedrohung für Europa durch einen Präsidenten Trump. Sie alle kennen seine Aussagen zur Nato, und dass Länder, die zu wenig für die Verteidigung ausgeben, nicht von den USA geschützt werden würden, bis hin zur Androhung, die USA würden die Nato verlassen.

So einfach die Nato verlassen kann er natürlich nicht, und wenn der Atomschirm der USA für die europäischen Partner nicht mehr gilt, dann ist auch die Frage, was das für die weitere atomare Rüstung, die nicht unbedingt im Interesse der USA ist, bedeuten würde.

Aber Präsident Trump könnte direkt nach seiner Angelobung ins Weiße Haus gehen und dort ein Dekret unterzeichnen, mit dem er die militärische Kommandostruktur der Nato in Europa abberuft. Die wird von einem US-Amerikaner geführt, den der Präsident de facto abberufen kann.

Was dann? Sind wir in Europa darauf vorbereitet? Gibt es Szenarien, wie man dann innerhalb der nächsten Stunden einen neuen militärischen Befehlshaber für die Nato in Europa einsetzt? Vor allem: wer wäre das, aus welchem Land würde er kommen? Aus Deutschland, das wohl fähige Soldaten hat aber politisch nicht handlungsfähig ist? Aus Frankreich, das sich ohnehin als Führungsmacht Europas sieht, aber nicht nur Freunde hat? Jetzt einmal davon abgesehen, dass Frankreich bei der Unterstützung der Ukraine durch seinen Präsidenten rhetorisch sehr präsent ist, die tatsächliche Hilfeleistung von vielen anderen europäischen Staaten aber übertroffen wird. Oder doch aus Polen, das von den europäischen Nato-Ländern derzeit am meisten in seine Verteidigungsfähigkeit investiert?

Wir wissen wie gesagt nicht, ob Trump ein solches Dekret bereits vorbereitet hat und es dann auch unterzeichnet. Zumindest ich weiß nicht, ob es Pläne für ein solches Szenario gibt. Ich weiß aber, dass eine verantwortungsvolle Politik genau auf solche Möglichkeiten vorbereitet sein muss!

Wovon wir aber ausgehen müssen ist ein neuer Zollkrieg. Den hat uns Trump bereits während seiner ersten Amtszeit angedroht. Aber auch die Biden-Administration hat Maßnahmen gesetzt, die nicht gerade unter das Stichwort freier und fairer Handel fallen. Damals, in der ersten Amtszeit von Donald Trump, konnte ein Zollkrieg noch verhindert werden, weil die EU geeint aufgetreten ist. Der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker konnte als Vertreter der gesamten EU dem Chef im Weißen Haus klarmachen, dass die geeinte EU schon eine Wirtschaftsmacht ist, mit der man nicht unbedingt einen wirklichen Handelskrieg anfangen sollte.

Eine Wirtschaftsmacht ist die EU nach wie vor, auch wenn es hier große Herausforderungen gibt, um diese Position zu halten. Bei einem Bürokratievergleich sind wir schon Weltmeister, aber auf diesen Titel sollten wir keinen Wert legen.

Auch bei den Handelsabkommen treiben protektionistische Kräfte immer wieder quer. Das Gezerre um das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, das jetzt ein Vierteljahrhundert gedauert hat, ist dafür nur ein Beispiel. Eine verantwortungsvolle Politik fürchtet nicht den freien Handel, sondern nutzt seine Chancen. Kleingeistige Vorurteile, die noch dazu mit falschen Zahlen, dafür aber sehr reißerisch, vorgetragen werden, sind nicht die Saat, auf der wir unsere europäische Zukunft bauen können.

Hier brauchen wir in der EU eine Rückbesinnung auf eine vernünftige Ordnungspolitik, zu der ganz klar eine massive Reduzierung der Bürokratie gehört. Dass kein Regierungspolitiker den Mut hatte etwa das Lieferkettengesetz zu stoppen, zeugt nicht gerade von hohem Verständnis für wirtschaftliche, politische aber auch soziale Zusammenhänge.

Gar kein Verständnis, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde, für politische Zusammenhänge und Fakten zeigt aber jemand, der meint, durch Appeasement einen Aggressor besänftigen zu können. Ich habe dazu schon einige historische Beispiele genannt, und wir sehen das jetzt praktisch jeden Tag seit der Vernichtungsinvasion Russlands in der Ukraine.

Es gibt in diesem Krieg nur ein Land das permanent eskaliert, und dieses Land ist Russland. Das reicht vom Angriff auf Kindergärten und Krankenhäuser über die zivile Infrastruktur bis hin zum Einsatz von Soldaten aus Nordkorea, von Kindesentführungen bis zu anderen Kriegsverbrechen.

Europa hingegen betreibt ein permanentes Beschwichtigungskonzept, obwohl gerade Europa von diesem Krieg betroffen ist. Damit will ich jetzt nicht zu einer martialischen Sprache aufrufen, sanfte Worte können, wenn sie richtig eingesetzt sind, durchaus sinnvoll sein. Dazu erinnere ich an ein altes Sprichwort, das der frühere US-Präsident Theodore Roosevelt gerne zitiert hat: „Sprich sanft und trage einen großen Knüppel, dann wirst Du weit kommen.“

Europa, die Europäische Union, muss schlicht und einfach die Grundsätze von Machtpolitik wieder erlernen. Dazu haben wir aber nicht viel Zeit. Wir sollen uns dabei auch nicht vor Macht fürchten. Denn Macht an sich ist nichts schlechtes. Man kann sie schlecht einsetzen oder missbrauchen, aber genau das ist ja nicht das Ziel der europäischen Einigung.

Diplomatischer Protest, der nicht von Maßnahmen begleitet ist, führt auf der Seite des Aggressors nur zu weiterer Eskalation.

Ja, es ist richtig, in dieser Rede stellt Russland einen Schwerpunkt dar. Damit möchte ich keinesfalls die anderen Probleme, die unsere Zukunft betreffen, vernachlässigen. Aber die Dinge hängen zusammen.

Mitte Dezember hat in Wien eine kleine Konferenz des „Post War Russia Forum“ stattgefunden, an der auch die Paneuropabewegung mitgewirkt hat. Dort fiel dann von einem Teilnehmer aus der Ukraine der Satz: großes Russland bringt große Probleme, kleines Russland macht kleine Probleme. Genaugenommen sprach er vom Moskauer Kolonialreich.

Das heutige Russland ist tatsächlich ein ganz klassisches Kolonialreich, das von Moskau beherrscht wird. Das fängt bei der wirtschaftlichen Ausbeutung der Kolonien an und geht weiter bis zur Unterdrückung der Völker dieses Kolonialreiches, ja bis zum Versuch, deren Männer im Kolonialkrieg gegen die Ukraine als Kanonenfutter zu verheizen.

Ein Europa, das an der Sicherheit seiner Bürger interessiert ist, sollte möglichst unverzüglich damit beginnen Szenarien für ein zerfallendes Moskauer Kolonialreich zu entwickeln.

Gut, jetzt können Sie mir sagen: reiß Dich zusammen, dafür gibt es doch wirklich keine Anzeichen.

Ganz ehrlich: ich sehe diese Anzeichen momentan auch nicht. Das bedeutet aber nicht, dass man sich mit dieser Frage nicht trotzdem beschäftigen muss.

Wenn mir am Andreas-Tag des Vorjahres jemand gesagt hätte, dass keine 14 Tage später der syrische Diktator Assad sich ins Moskauer Exil abgesetzt haben wird, hätte ich wohl auch etwas Zweifel an diesem Szenario gehabt.

Damit bin ich wieder bei der Aussage von vorhin: es hängt alles zusammen.

Sie erinnern sich, 2015 stand Assad bereits einmal mit dem Rücken zur Wand. Russland, das in dem Land Militärstützpunkte hat, unter anderem einen Hafen, hat auf seiner Seite eingegriffen. Putin hat sich, um das einmal so salopp zu formulieren, auf die Bühne der Weltpolitik zurückgebombt. Ohne Russland, so die damalige Lage, gab es keine Lösung für die Konflikte im Nahen Osten. Ein kluger Politiker hätte in der Lage wohl diese Rolle genutzt, hätte mit den Rohstoffen seines Landes gute Geschäfte mit der westlichen Welt gemacht, und hätte sich wohl sicher sein können, dass sich kaum jemand um die Menschenrechte in seinem Land Sorgen macht.

Der Imperialist aber hatte das Bestreben, sein Kolonialreich weiter zu vergrößern. Ein Schritt, der Dynamiken in anderen Weltregionen ausgelöst oder zumindest ermöglicht hat, die er wohl nicht bedacht hat. Würde Moskau seine Militärbasen in Syrien verlieren, wäre das ein herber, ja ein geradezu vernichtender Schlag, auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussieht. Man beachte aber die gesamte Logistik für die Interventionstruppen Putins in Afrika.

Es hängt wie gesagt alles zusammen. China hat eine behördenübergreifende Gruppe eingerichtet, die sich genau anschaut, wie die Sanktionen der EU und anderer Staaten auf Russland wirken. Das dürfen wir als klares Signal dafür werten, dass China seine Pläne für eine Annexion Taiwans unter anderem an den Entwicklungen in Russland, konkret am Ausgang des russischen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine, überprüft. Kommt Russland mit seinen Plänen durch, so wäre das wohl die Ermutigung für China, in Taiwan einzumarschieren.

Das ist weder im Interesse der EU noch der USA.

In China überlegt man übrigens auch Szenarien, wie man sich gewisse Gebiete in der heutigen Russischen Föderation sichern kann, falls dieses Reich auseinander bricht.

Wobei die derzeit größte Bedrohung aus Moskau gegen Europa der Desinformationskrieg ist. Das ist nichts neues. Schon im Kalten Krieg und auch davor in der Zarenzeit hat Moskau massive Desinformationskampagnen gefahren, um so Europa zu unterminieren. Diese Expertise hat Moskau verbessert, ausgebaut und auch mit den neuen technischen Möglichkeiten der social media verknüpft.

Wobei wir da nicht nur auf social media schauen dürfen. Wir haben politische Parteien, die ganz offen für Putin Propaganda machen. Auch in verschiedenen etablierten Medien schreiben regelmäßig Journalisten und Kommentatoren, deren Unterstützung für Moskau nicht zu übersehen ist. Diese fünfte Kolonne Moskaus reicht bis in den akademischen Bereich.

Wobei das echte Ziel der Desinformation nicht ist, dass man etwas ganz bestimmtes glaubt, sondern dass man am Ende gar nichts mehr glauben will. Wer einmal so weit ist, stellt ein willkommenes Opfer jeglicher Willkürherrschaft dar.

Hanna Arendt, die bekannte Kämpferin gegen den Nationalsozialismus und andere totalitäre Systeme wie den Kommunismus hat das einmal in die Worte gefasst: „Das ideale Opfer einer totalitären Herrschaft ist nicht der überzeugte Nazi oder der überzeugte Kommunist, sondern Menschen, für die der Unterschied zwischen Fakt und Fiktion, zwischen wahr und falsch nicht mehr existiert.“

Noch eine letzte Anmerkung zu Russland sei mir erlaubt. Oft wird davon geredet, dass wir das andere Russland unterstützen müssen. Ja, müssen wir. Gleichzeitig müssen wir so fair sein anzuerkennen, dass wir das andere Russland in Russland selbst nicht mehr finden. Es handelt sich bei dem Krieg zur Eroberung der Ukraine nicht nur um einen Krieg Putins.

Das zeigen auch jüngste Umfragen, wonach es einerseits eine Mehrheit in Russland für einen Waffenstillstand oder gar Frieden mit der Ukraine gibt. Das klingt ja ganz gut. Sobald man fragt, ob damit auch ein Verzicht auf die besetzten oder annektierten Gebiete einhergehen könnte, verschwindet andererseits diese Zustimmung auf eine kleine Gruppe. Der Imperialismus ist also nicht nur ein Charakterzug Putins, sondern tief in der russischen Gesellschaft verankert.

Auch wenn ich die These von der Kollektivschuld mit Skepsis betrachte, sollten wir uns hier die Worte der sowjetischen Anklage beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zu Herzen nehmen und auf das Moskauer Kolonialreich umlegen. „Für die Verbrechen der Deutschen sind alle Deutschen verantwortlich, und zwar auf gleicher Ebene mit der Führung des Landes – denn sie waren es, die ihre Regierung gewählt und nicht gestoppt haben, als sie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich stellt sich die Frage, wie wir zu einem Frieden in diesem Krieg kommen können. Ich habe zu Beginn dieser Rede von Rechtsstaatlichkeit, von Ordnungspolitik und von regelbasierter Ordnung in der Weltpolitik gesprochen, in Kombination mit der UN-Charta.

Daraus ergibt sich für alle, die Europa als einen Kontinent der Freiheit, die die westliche Wertegemeinschaft für die nächsten Generationen erhalten wollen, die klare Pflicht, der Ukraine zu geben was sie braucht, um die russische Soldateska mit ihren Verbündeten zu schlagen. Und wir müssen den Ukrainern auch erlauben, diese Waffen ohne Einschränkungen einzusetzen.

Im Zusammenhang mit dem iranischen Raketenangriff auf Israel hat jemand kommentiert: Wir haben Milliarden aufgewendet um auf die Pfeile zu schießen und nicht auf die Bogenschützen.

Die Ukraine muss die Möglichkeit bekommen jene Basen zu zerstören, von der aus der Tyrann aus Moskau angreift und die zivile Infrastruktur attackiert. Regime wie das von Putin verstehen nur Stärke und Entschlossenheit, eine klare Haltung. Sanfte Töne ohne großen Knüppel ermutigen derartige Regime – da meine ich jetzt nicht nur das in Moskau – nur zu weiteren Aggressionen.

Vor wenigen Tagen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde, haben wir den dreißigsten Jahrestag des EU-Beitrittes von Österreich begangen. Vieles hat sich seither getan, vieles von dem was heute als EU-Politik gilt, kann man und muss man teilweise kritisieren.

Wir sollten aber bei aller Kritik an zuviel Bürokratie und anderen Fehlern wie der Ideologisierung nicht vergessen, dass die europäische Einigung aus einem sicherheitspolitischen Motiv heraus begonnen wurde. Angesichtes der geopolitischen Lage und der Herausforderungen mit denen wir konfrontiert sind, ist es an der Zeit, dass die Europäische Union ihre eigene außen- und sicherheitspolitische Identität entwickelt. Damit meine ich nicht nur eine Koordinierung von 27 Standpunkten, sondern eine echte europäische Außen- und Sicherheitspolitik, an deren Spitze ein EU-Außenminister oder eine EU-Außenministerin steht.

An diesen Herausforderungen müssen wir übrigens auch die österreichische Politik messen, egal zu welcher Regierungskonstellation es kommt, oder eben zu Neuwahlen.

Wir leben in spannenden, harten Zeiten. Spannende harte Zeiten brauchen eine klare Haltung, um wieder Orientierung zu geben und damit Hoffnung für die weitere Gestaltung eines freien Europa.

Dafür müssen wir uns engagieren!